Wissenschaft und Forschung

Wurstskandal

Listerien-Fund in Großmetzgerei - Rund 80 Infektionen in Baden-Württemberg

Wurst aus einer oberbayerischen Großmetzgerei soll für bis zu 80 Fälle von Listerien-Infektionen in Baden-Württemberg verantwortlich sein. Acht der bundesweit erkrankten Personen sind gestorben, bei vier von ihnen wird die Listeriose als hauptsächliche Todesursache angesehen. Gegen die Großmetzgerei Sieber in Geretsried, die bundesweit mehrere Einzelhandels-Ketten beliefert, wurde ein Produktionsverbot verhängt - dagegen klagt die Firma jedoch. Lesen Sie hier, wie die Behörden dem Betrieb auf die Spur kamen.
Wurst Schinken

Die Gesundheitsbehörden der Länder hatten dem Robert-Koch Institut seit dem Jahr 2012 jährlich zwischen 430 und 662 Personen in ganz Deutschland gemeldet, die an Listeriose erkrankt waren.

Der Schwerpunkt liegt dabei in den Bundesländern Baden- Württemberg, Bayern und Hessen. Es steht im Raum, dass möglicherweise 70 bis 80 Erkrankungsfälle mit dem Schwerpunkt in Baden-Württemberg, darunter aber auch 22 in Bayern, diesem Ausbruch zugeordnet werden können.

Wie kamen die Behörden dem Betrieb auf die Spur?

Die Ausbruchsquelle ausfindig zu machen, ist bei Infektionserkrankungen wie der Listeriose in der Regel sehr schwierig. Häufig werden Lebensmittel bundesweit oder international vertrieben. Dies hat zur Folge, dass eine Vielzahl von Produktionsbetrieben bundesweit und international als Infektionsquelle in Frage kommt. Erschwerend kommt hinzu, dass ein großes Spektrum an Lebensmitteln potenziell mit Listerien kontaminiert sein kann. Betroffen sind v.a. Milch-, Fleisch- und Fischprodukte.

Eine weitere Erschwernis hinsichtlich der Ursachenforschung liegt darin, dass nur ein kleiner Anteil der Personen, die Listerien aufnehmen, auch tatsächlich erkrankt. Die Gefahr einer manifesten Erkrankung besteht hauptsächlich für abwehrgeschwächte Personen wie Neugeborene, alte Menschen, Patienten mit chronischen Erkrankungen, Transplantierte und Schwangere.

Bei epidemiologischen Befragungen zur Verzehrsanamnese können viele der Befragten unter anderem wegen der teilweise längeren Inkubationszeit der Listeriose häufig keine genauen Angaben zu den von ihnen über einen längeren Zeitraum konsumierten Lebensmitteln machen.

Um solche Ausbrüche und Erkrankungshäufungen besser eingrenzen zu können, haben die Gesundheitsbehörden daher in den letzten Jahren für die Ausbruchsuntersuchungen neue Methoden aus dem Gebiet der molekularen Diagnostik herangezogen, die die epidemiologischen Recherchen unterstützen und absichern sollen. Zunehmend werden Listerien-Isolate von erkrankten Personen mit diesen neuen molekularbiologischen Analysemethoden nachuntersucht, um mögliche Beziehungen zwischen Erkrankungsfällen bzw. zwischen Erkrankungsfällen und verdächtigen Lebensmitteln erkennen zu können.

In den Recherchen ergaben sich schließlich zunehmend Hinweise, dass es sich bei den in Frage kommenden Lebensmitteln um Schweinefleischprodukte handeln könnte. Deshalb hatte das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit seit Anfang Februar 2016 in Bayern verstärkt entsprechende Produkte untersucht. Die Behörde hatte schließlich im März 2016 in einer im Einzelhandel routinemäßig entnommenen Probe von „Original bayerisches Wacholderwammerl", Listerien in hoher Keimzahl nachgewiesen.

Daraufhin wurde das Lebensmittel als „gesundheitsschädlich" beurteilt. Es folgte eine öffentliche Warnung, die betroffene Charge wurde zurückgerufen. Die zuständigen Behörden vor Ort haben den Betrieb in der Folge einerseits verstärkt amtlich beprobt, andererseits veranlasste der Betrieb selbst umfangreiche Eigenkontrollen. Bei den weiteren amtlichen Proben von Lebensmitteln ergaben sich keine Listerien-Gehalte, die die Kriterien für eine Einstufung als nicht sichere Lebensmittel erfüllt hätten.

Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit übergab das aus der beanstandeten Probe gewonnene Listerien-Isolat an das für derartige Verfahren zuständige Bundesinstitut für Risikobewertung zur weitergehenden Typisierung. Dabei wurde das gleiche Muster wie bei den Patienten-Isolaten nachgewiesen. Hiermit ließ sich nun erstmals ein Lebensmittel dem Ausbruchsgeschehen zuordnen.

Auch so genannte epidemiologische Erkenntnisse zu dem Produkt „Wammerl" des betroffenen Betriebes deuten auf einen Zusammenhang hin (z. B. Vertriebsgebiet Süddeutschland, Vertrieb über bestimmte Handelsketten).

Insgesamt spricht das Robert Koch-Institut nach den molekularbiologischen Erkenntnissen von einer sehr hohen, nach epidemiologischen Erkenntnissen von einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass die unter der Bezeichnung „Original bayerisches Wammerl" vertriebenen Produkte in Zusammenhang mit dem Listeriose-Ausbruchsgeschehen im Zeitraum von 2012 bis heute stehen.

Bei den zuvor regelmäßig durchgeführten Kontrollen durch das zuständige Landratsamt wurden nach Auskunft des Landratsamtes keine Auffälligkeiten bei der Firma festgestellt. Ebenso hat das LGL seit dem Jahr 2010 rund 20 Produkte der betroffenen Firma untersucht. Bei keiner einzigen dieser Proben konnten Listerien nachgewiesen werden.

Die Regierung von Oberbayern und die zuständige Kreisverwaltungsbehörde führten eine umfassende Kontrolle des gesamten Betriebes durch. Sieber ist ein handwerklich strukturiertes, mittelständisches Unternehmen. Besonderes Augenmerk lag bei der Betriebskontrolle auf der Überprüfung der Produktionsräume und Produktionswege für die Wammerlproduktion. In der Gesamtschau ergaben sich nur kleinere Mängel.

Nach zu der beanstandeten Probe vom März 2016 hatte der Betrieb bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, allerdings wurden in weiteren Proben bei einer anderen Produktpalette geringe Keimgehalte von Listerien nachgewiesen.

Insgesamt bestehen für die Behörden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass von Erzeugnissen der Firma Sieber eine Gefährdung für die Gesundheit der Verbraucher ausgehen kann. Deshalb hatte das Bayerische Staatsministerium für Verbraucherschutz am 27.05.2016 in einer Pressemitteilung bis auf weiteres davon abgeraten, Schinken- und Wurstprodukte der Firma Sieber zu konsumieren. Das zuständige Landratsamt Bad Tölz – Wolfratshausen hatte ebenfalls am 27.05.2016 der Firma untersagt, Ware in den Verkehr zu bringen und angeordnet, auf dem Markt befindliche Ware zurückzurufen. Der Rückruf der Ware wird amtlich überwacht.

(Mittwoch, 01.06.16 - 22:06 Uhr   -   5042 mal angesehen)

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