Wissenschaft und Forschung

Therapie

Spezielle Hirnschrittmacher sollen bei Parkinson helfen

Neurologische Erkrankungen wie Parkinson gehen mit Bewegungsstörungen einher. Bei der Behandlung von Parkinson hat sich die Tiefe Hirnstimulation bewährt. Ein Schwerpunkt aktueller Forschung ist nun, bedarfsgerechte Hirnschrittmacher zu entwickeln, die sich an individuelle Hirnströme anpassen.
Gehirn

Das Projekt ReTune wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über vier Jahre hinweg mit 10 Millionen Euro gefördert. „Unsere Vision ist es, Neuromodulationsverfahren zu entwickeln, die mit minimaler Invasivität an spezifischen Knotenpunkten des Netzwerks im Gehirn ansetzen, um die krankheitsbedingt veränderte Hirnaktivität noch selektiver zu unterdrücken", schildert Prof. Andrea Kühn, Direktorin der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Klinik für Neurologie der Berliner Charité und Sprecherin des Sonderforschungsbereichs „Behandlung motorischer Netzwerkstörungen mittels Neuromodulation".

Die Expertin erhofft sich von der koordinierten Zusammenarbeit von NeurologInnen, GrundlagenwissenschaftlerInnen, KlinikerInnen sowie ExpertInnen für digitale Medizin, künftig auch bisher nicht behandelbare komplexe klinische Syndrome mit der Tiefen Hirnstimulation (THS) therapieren zu können.

Finetuning der THS durch Algorithmen-gestützte Programmierung

Für die THS bei M. Parkinson werden den PatientInnen zwei feine Elektroden ins Gehirn implantiert. Diese sind an einen Schrittmacher im Brustraum angeschlossen, der über unterschiedliche Stimulationsparameter eingestellt und individuell angepasst wird. Das Austesten der bestmöglichen Einstellung ist zeitaufwendig und erfordert einen mehrtägigen Klinikaufenthalt. Ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat nun eine Software (StimFit) entwickelt, die die Prozedur effizienter und für die Betroffenen angenehmer machen könnte. Um zu prüfen, ob die Software-basierten Einstellungen mit dem Standardverfahren mithalten können, hat das Forschungsteam eine Studie mit 35 Parkinson-PatientInnnen durchgeführt.

„Es zeigte sich, dass beide Verfahren ähnlich gut zur motorischen Symptomkontrolle beitrugen, diese jedoch unter den StimFit-Vorhersagen wesentlich schneller erreicht wurde. Die Algorithmen-gestützte Programmierung der THS könnte also dazu beitragen, die Krankheitslast noch schneller zu reduzieren als bisher", berichtet Kühn.

Individuelle und Feedback-basierte Neurostimulation wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen

In einem weiteren Projekt haben ReTune-ForscherInnen neue Ergebnisse zu tageszeitlichen Schwankungen der Basalganglien-Aktivität bei Menschen mit M. Parkinson gewonnen. Parkinson-PatientInnen zeigen charakteristische Aktivitätsmuster im Nucleus subthalamicus (STN), eine verstärkte oszillatorische Aktivität im Beta-Frequenzband (13–35 Hz). „Diese sogenannten spektralen Beta Peaks treten bei nahezu allen Betroffenen auf (92 %) und korrelieren mit dem Schweregrad der motorischen Symptome", schildert Kühn.

Bisher wurden die Beta-Frequenzband-Schwankungen über relativ kurze Zeitintervalle beschrieben. Die Langzeitdokumentation der subthalamischen Beta-Frequenz über 34 Tage hinweg (±13 Tage) ergab nun, dass Parkinson-PatientInnen eine erhöhte Beta-Frequenz während des Tages und eine relativ geringere Beta-Frequenz in der Nacht aufwiesen. Zudem beeinflussten bestimmte Bewegungen lokale Feldpotenziale (LFP) des STN. „In Zukunft werden THS-Algorithmen Tag-Nacht-Schwankungen oder bestimmte Bewegungsmuster mitberücksichtigen können", stellte Kühn in Aussicht.


Auch THS-Anwendungen, die mit Feedback-Sensoren ausgestattet sind, werden derzeit erforscht, berichtete Kühn. Durch die Feedback-basierte Neurostimulation, die z. B. nur beim Auftreten von Krankheitssymptomen aktiv wird, könne eine Unter- oder Überstimulation effektiv vermieden und eine bedarfsgerechtere Versorgung mit THS gewährleistet werden.

Verschiedene Formen der Dystonien spezifischer behandeln

Auch Dystonien können mit THS gemindert werden. Sie gehen mit unwillkürlichen Bewegungen einher, die komplett unkontrollierbar sind. Örtlich begrenzte Formen der Dystonie sind am häufigsten (fokale Dystonie) und zeigen sich zum Beispiel durch Schiefhals, Lid-, Mund-, Zungen-, oder Schlundkrampf. Bei zervikalen Dystonien sind Hals- und Nackenmuskulatur betroffen. Bei generalisierten Formen der Dystonie treten Muskelverkrampfungen in vielen Bereichen des Körpers gleichzeitig auf. Zur Behandlung von zervikalen und generalisierten Formen der Dystonie wurde die THS bisher in Bereichen des inneren Pallidums angesetzt. Aktuelle Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass diese beiden Formen spezifisch in verschiedenen Subregionen des Pallidums adressiert werden können. Die Studienergebnisse könnten dazu führen, dass die Behandlung für einen Teil der Dystonie-PatientInnen spezifisch angepasst wird.

„Mit unseren Forschungsergebnissen wollen wir neue Standards in der Behandlung von neurologischen Bewegungsstörungen etablieren. Die bisherigen Behandlungsergebnisse können mit etablierten Verfahren wie THS weiter optimiert werden, wenn derzeitige Versorgungsmöglichkeiten maximal ausgeschöpft werden", so das Fazit von Kühn.

(Donnerstag, 02.03.23 - 16:58 Uhr   -   1761 mal angesehen)

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